Wallanlagen
Die Geschichte der Wittenberger Wallanlagen erzählt von Krieg und Frieden, von Verteidigung und Verwandlung. Mit der Urkunde von 1293 wird Wittenberg ein weiteres Stück Stadtrecht verliehen. Eine Stadtmauer ist erstmals 1332 erwähnt. Die Stadt wurde jahrhundertelang befestigt und konnte regulär nur durch drei Stadttore betreten werden. Gräben, Hornwerke als Außenbauten und Anschüttungen vor dem Festungsgraben (Glacis) bilden einen Schutzwall, der im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Verstärkungen und Erweiterungen erfährt. Mit dem kaiserlichen Befehl zur Entfestigung der Stadt 1873 folgt unter der Leitung von Friedrich Karl Timotheus Eunike (1831–1892) und seinem Nachfolger Paul Leonhardt (1852–1927) die Umwandlung in städtische Parkanlagen nach dem Vorbild englischer Landschaftsgärten. Ab 1878 verwirklichten die beiden Stadtverordneten ihre gestalterischen Ideen: Mit über 200 Gehölzarten, Parkbauten, Wegen und Wasserläufen schufen sie Szenerien, die zum Flanieren einluden und legten den Grundstein für einen Grüngürtel, der die historische Altstadt umschließt, bis heute als Erholungsraum dient und zugleich ein einzigartiges Gartendenkmal von kulturhistorischer Bedeutung darstellt.
Im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 wurde ein touristisches Leitsystem entwickelt und umgesetzt, dass neben einem empfohlenen Stadtrundgang, der auf alle wichtigen touristischen Ziele der bebauten Altstadt hinweist, auch den sogenannten Wallanlagenrundweg als grüne touristische Route beinhaltet. Letzterer leitet die Besucher durch alle neun Anlagenteile der Wallanlagen und führt zu den Aufenthalts- und Erlebnispunkten sowie Sehenswürdigkeiten innerhalb des Grüngürtels.
Aufgrund der historisch bedingten topografischen Verhältnisse mit zum Teil steilen Wegeabschnitten oder Treppen, wurde zusätzlich zu einer Hauptroute eine barrierefreie Ausweichroute etabliert. Beide Routen werden mittels kleiner grüner Richtungsstelen ausgeschildert, wofür eigens ein Logo entwickelt wurde. In sieben Anlagenteilen wurden Objektstelen errichtet, die auf die Geschichte und Entwicklung der Wallanlagen insgesamt sowie des jeweiligen Anlagenteils näher eingehen. Historische Abbildungen ergänzen die Informationen und geben einen Einblick in die ursprüngliche Gestaltungen.
A: Eunikepark
Das Areal gehörte zur nordwestlichen Stadtbefestigung. Die sogenannte Bastion Tauentzien enthielt mit dem Casinogarten für Offiziere (heute Sowjetischer Ehrenfriedhof) und dem mit Wegen und Bepflanzungen gestalteten Festungsvorfeld (Glacis) bereits vor der Entfestigung grüne Elemente. Unter Einbeziehung des Glacis schuf Friedrich Karl Timotheus Eunike (1831–1892) mit Wasserläufen, Wegen, Brücken, Lauben und Grotten ab 1875 romantisch anmutende Szenerien nach damaliger landschaftsgärtnerischer Manier. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde Eunike für sein Engagement hier ein Denkmal gesetzt. Im Jahr 2001 beschloss der Stadtrat die Namensgebung „Eunike Park“. Sein Nachfolger Paul Leonhardt (1852–1927) integrierte unter anderem einen Botanischen Garten (heute Staudengarten). Zeugnisse aus verschiedenen Epochen dokumentieren bis heute den Wandel vom Schutzwall zum Grüngürtel: Mit der Kasematte der Bastion Dobschütz (heute Aquarium) wurde ein Gebäude aus Festungszeiten integriert. Der Casinoberg verdeutlicht eindrucksvoll die Umrisse der einstigen Bastion Tauentzien. Denkmäler wie Entfestigungs- oder Batteriestein, gehören zum steinernen Inventar aus der Entstehungszeit des Parks, 1993 geschaffene Skulpturen setzen moderne Akzente.
B: Bastion Cavalier
Dieses Areal war in der Vergangenheit ein Teil der nördlichen Stadtbefestigung und auch nach 1873 blieb es immer im Besitz des Militärs. Zwar wurde nach dem kaiserlichen Befehl zur Entfestigung die hier liegende Bastion Cavalier zügig abgerissen; an deren Stelle traten jedoch schon 1880 die Kavalierkaserne, eine Exerzierhalle sowie 1901 eine Artilleriekaserne.
Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex weiterhin militärisch genutzt – nun von der Roten Armee, die in der Kavalierkaserne auch eine russische Schule für die Kinder der in der DDR stationierten Soldaten unterbrachte. Erst lange nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1990 ergab sich die Chance einer Umnutzung des abgezäunten Ensembles. Im Jahr 2000 wurde aus der Kavalierkaserne das Neue Rathaus, die restaurierte Exerzierhalle verwandelte sich in einen Ort für Feste und Veranstaltungen. Mit einem neu angelegten Promenadenweg und nicht zuletzt durch Neuanpflanzungen von Bäumen, die als zweiter Außenstandort zum Luthergarten gehören, ist es gelungen, die Lücke in den Wallanlagen an dieser Stelle zu schließen und das Gebiet um das Neue Rathaus in die Wallanlagen einzubinden.
C: Schwanenteich
Das Areal des Schwanenteichs war Teil der nördlichen Stadtbefestigung, eingegrenzt von den Bastionen Dänen und Cavalier. Als die Abrissarbeiten an den Festungsanlagen nach 1873 begannen, wurde hier der Große Schwanenteich angelegt. Schon während der ersten Gestaltungsphase, die von Friedrich Karl Timotheus Eunike (1831–1892) geleitet wurde, umgab ihn ein einfacher Uferrundweg. Ein erstes Schwanenpaar bezog hier Quartier. Sein Nachfolger Paul Leonhardt (1852–1927), an den eine Gedenktafel am Westufer des Schwanenteichs erinnert, fügte dem Ensemble zahlreiche prägende Elemente hinzu. Die aufwändig gestaltete Treppenanlage mit Pergola sowie Sitzgelegenheiten und Aussichtspunkte entstanden unter seiner Ägide. Ein Schwanenpaar wurde auf private Initiative im Jahr 2021 wieder angesiedelt. Auch eine 1919/21 an der Südwestecke des Schwanenteichs angelegte, in kunstvoller Architektur verborgene Transformatorenstation, wurde 1968 wieder abgerissen. Mit dem Soziokulturellen Zentrum „Pferdestall“ gehört indes noch ein Gebäude zum Areal, das auf die einstige militärtechnische Funktion der Wallanlagen verweist. Es war zu Festungszeiten als Wagenhaus No. 3 Teil der Bastion Dänen.
D: Amselgrund
Das Areal des Amselgrundes war Teil der nördlichen Stadtbefestigung. In den angrenzenden Straßen (heute Neustraße und Wilhelm-Weber-Straße) wurden der Rische Bach und der Faule Bach von Zuflüssen gespeist. Die Gewässer wurden mit Hilfe sogenannter Archen durch die Festungsanlagen über den Stadtgraben in die Stadt geleitet. Die wohl schon im Mittelalter benutzte Konstruktion bestand aus zusammengefügten Holztrögen, die seitlich durch Holzgerüste gestützt wurden und durch gemauerte Durchlässe in der Stadtmauer in die Stadt führten. Beim Abriss der Festungsanlagen nach 1873 wurde der Festungsgraben in eine Grünanlage verwandelt und die Glacisflächen bebaut. Das neue Gebäude der Reichspost (1893) und das Melanchthon-Gymnasium (1888) sowie ein erster Spielplatz entstanden. Trotz Anschüttung des Festungsgrabens und Anhebens des Wegeniveaus hatten die Gestalter der Wallanlagen ständig mit Nässe zu kämpfen. Deshalb wurde 1908 beschlossen, die Bäche teilweise unterirdisch zu verlegen. Durch die bestehende Verbindung des gesamten Wallanlagen-Grabensystems mit der Elbe ist jedoch jedes Ansteigen des Elbwasserspiegels bis heute auch in den Anlagen wahrnehmbar.
E: Muths Grund
Der Muths Grund zählte zum Areal um das Elstertor, dem Eingang im Osten der Stadt. Das ehemalige Festungsvorfeld (Glacis) wurde in diesem Anlagenteil teilweise bebaut. Nach der Entfestigung 1873 entwickelte sich der Muths Grund zu einem der beliebtesten Orte – er bot für die Bürger Raum zum Flanieren. Der begrünte Festungsgraben samt Fontäne war nicht der einzige Anziehungspunkt. Auch das Restaurant „Zur Reichspost“ mit seinen Konzert- und Festsälen, das Albert Muth auf einem von ihm erworbenen Grundstück im Gründerzeitstil erbauen ließ, begeisterte die Gäste, nicht zuletzt dank seiner idyllischen Lage. Ausgerichtet auf die Parkanlagen lockten „herrliche Grotten – Gartenanlagen, Bunt und Bogenlicht, Wasserfall mit elektrischer Beleuchtung“, wie Muth in einer Anzeige verkünden ließ. Aus dem Restaurant ging 1957 als „Haus der Schaffenden“ das spätere Kultur- und Tagungs-Centrum (KTC) hervor. Nach dessen Abriss entstand 2016 das „Asisi-Panorama“. Mehrere Jahre lang werden Besucher hier auf eine Zeitreise in das Wittenberg des Reformationsjahrhunderts eingeladen. Danach ist an dieser Stelle eine Wohnbebauung geplant.
F: Universitätspark
Am östlichen Stadteingang befand sich vor dem Lutherhaus und dem Augusteum die Stadtbefestigung mit dem Elstertor. Mit Entfestigung, Abbruch des Tores 1876 und Neuanlage einer Straße in die Stadt, die ein Teil der Collegienstraße ausbildet, wurde das unmittelbar südlich liegende Gelände als städtische Grünanlage gestaltet. Direkt an das Lutherhaus grenzte das Areal der Universitätsverwaltung; es gehört heute zur Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde südöstlich des Lutherhauses ein „Wandel- und Gelehrtengarten“ angelegt, der vom 1817 durch den preußischen König eingeweihten, im Augusteum ansässigen Evangelischen Predigerseminar genutzt wurde. Er erhielt den Namen Universitätspark. Ein auf dem Areal im Zweiten Weltkrieg errichteter Hochbunker, der später gesprengt, jedoch nie vollständig abgetragen, sondern mit Erde bedeckt und begrünt wurde, gab der Erhebung den Namen Bunkerberg. Anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 erfolgt die Rekonstruktion des ehemaligen Universitätsparks. Eine Installation begehbarer Stege auf dem Bunkerberg soll zudem den Blick auf die Stadt und gestaltete Natur eröffnen und den Besuchern als neuer Erlebnispunkt dienen.
G: Bastion Donnersberg
Die Bastion Donnersberg war Teil der ehemaligen Befestigungsanlagen. Ihre Überreste befinden sich in der heutigen Kleingartenanlage „Am Stadtgraben“. Ziel ist es, die Mauerreste unter denkmalpflegerischer Sicht zu erhalten und öffentlich wirksam präsentieren zu können.
H: Bastion Hasenberg
Das Arthur-Lambert-Stadion als große innerstädtische Sportanlage befindet sich an der Stelle der ehemaligen Bastion Hasenberg. Die Sportanlage geht zurück auf eine Zeit um 1920, als erste Spiel- und Sportplätze auf dieser Fläche angelegt wurden. Die Anlage wird vorrangig durch den Schul- und Vereinssport genutzt. In Zukunft sollen im südlichen Teil Spiel- und Sportanlagen entstehen, die durch die Öffentlichkeit genutzt werden können.
I: Schlosspark
Das Gelände des Schlossparks gehörte zum südlichen und westlichen Areal der Stadtbefestigung. Hier befanden sich die Schlossbastion mit dem Schlosstor in Richtung Westen und die Bastion Drachenkopf mit dem Elbtor in Richtung Süden. Durch steil ansteigende Anschüttungen des Festungsglacis thronten Schloss und Schlossbastion imposant über der Ebene. Ab 1873 wurden im Zuge der Entfestigung zunächst die Stadttore freigelegt und Verkehrswege erschlossen. Die südlichen Wälle, die den Blick auf die Elbe versperrt hatten, wurden abgetragen. Das Material diente zum Verfüllen der alten Festungsgräben. Zunächst wurde nur das Gelände, angrenzend an die heutige Elbstraße, sowie das Glacis im Westen zu städtischen Parkanlagen gestaltet. Die Schlosswiese selbst wurde zu einem späteren Zeitpunkt Teil des Grüngürtels. Sie wurde noch bis 1919 vom Militär als Exerzierplatz genutzt. Den jüngsten Anlagenteil stellt die Andreasbreite dar. Mitte der 1930er Jahre erfolgte die Umlegung der Halleschen Straße, wodurch im Bereich des ehemaligen Glacis Grünfläche verloren ging, im Süden hingegen konnte neuer Raum gewonnen werden. Dem Ziel einer Komplettierung des Grünen Rings um die Stadt kam man damit einen Schritt näher.
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